Veröffentlicht am Mai 17, 2024

Entgegen der Annahme, Disruption sei ein plötzlicher Schock, ist sie ein schleichender Prozess, dessen schwache Signale für den geschulten Beobachter Jahre im Voraus sichtbar sind.

  • Erfolgreiche Unternehmen entwickeln eine „institutionelle Blindheit“, die sie daran hindert, existenzielle Bedrohungen durch neue Geschäftsmodelle oder Technologien wahrzunehmen.
  • Durch den Aufbau eines systematischen „Disruptions-Radars“ können Schweizer KMU diese schwachen Signale aktiv aufspüren und strategisch nutzen, anstatt von ihnen überrascht zu werden.

Empfehlung: Beginnen Sie sofort damit, nicht nur Ihre direkten Wettbewerber, sondern vor allem die Ränder Ihrer Branche und branchenfremde Start-ups zu analysieren, um die wahren „Jobs-to-be-Done“ Ihrer Kunden neu zu entdecken.

Als etablierter Schweizer Unternehmer sind Sie zu Recht stolz auf die Qualität, Stabilität und den Erfolg, den Sie sich über Jahre erarbeitet haben. Doch in einer Welt, die sich exponentiell beschleunigt, ist der grösste Feind des zukünftigen Erfolgs oft der vergangene. Sie hören überall die Mahnungen zur „Digitalisierung“ und „Agilität“, doch diese bleiben meist vage Schlagworte. Das eigentliche Problem liegt tiefer: Disruptive Bedrohungen kündigen sich selten laut an. Sie sind wie feine Risse im Fundament, die lange unbemerkt bleiben, bis die gesamte Struktur ins Wanken gerät.

Die gängige Reaktion ist, auf neue Technologien zu blicken. Aber was, wenn die wahre Disruption gar nicht von einer Technologie ausgeht, sondern von einem cleveren neuen Geschäftsmodell, das den Kundennutzen radikal neu definiert? Die entscheidende Frage ist nicht, *ob* Sie innovieren müssen, sondern *wie* Sie ein Frühwarnsystem etablieren, das Ihnen die nötige Zeit verschafft, um proaktiv zu handeln, statt nur zu reagieren. Dieser Artikel ist kein weiterer Appell, „innovativer“ zu sein. Er ist eine Bauanleitung für Ihr persönliches Disruptions-Radar – ein strategisches Instrument, um die schwachen Signale von morgen zu erkennen und sie von einer Bedrohung in Ihre grösste Chance zu verwandeln.

Dieser Leitfaden führt Sie systematisch durch die notwendigen Schritte: vom Verständnis der eigenen Schwachstellen über die Identifikation externer Signale bis hin zur Implementierung einer widerstandsfähigen Innovationskultur. Entdecken Sie, wie Sie Ihr Unternehmen für die Zukunft wappnen.

Warum etablierte Unternehmen systematisch disruptive Bedrohungen übersehen bis es zu spät ist?

Die grösste Gefahr für ein erfolgreiches Unternehmen ist nicht der Wettbewerber, den man kennt, sondern die institutionelle Blindheit, die mit dem Erfolg einhergeht. Prozesse, die gestern zu Marktführerschaft geführt haben, werden zu starren Dogmen, die den Blick für grundlegende Veränderungen verstellen. Man optimiert das Bestehende bis zur Perfektion und bemerkt nicht, dass das Spiel selbst sich geändert hat. Der Fokus liegt auf der inkrementellen Verbesserung für die anspruchsvollsten (und profitabelsten) Kunden, während am unteren Ende des Marktes eine „gut genug“-Lösung entsteht, die die Spielregeln neu schreibt.

Dieses Phänomen ist kein Zeichen von Inkompetenz, sondern eine systemische Falle. Die Konzentration auf Effizienz, kurzfristige KPIs und die Angst, das profitable Kerngeschäft zu kannibalisieren, lähmen radikale Entscheidungen. Besonders in der Schweiz, wo eine harmonie- und konsensorientierte Kultur schnelle, disruptive Schritte erschweren kann und die „Swiss-Made“-Qualität fast heilig ist, ist diese Gefahr gross.

Fallbeispiel: Die Schweizer Uhrenindustrie und die Quarzkrise

Ein Paradebeispiel ist die Schweizer Uhrenindustrie in den 1970er Jahren. Während man die mechanische Perfektion auf die Spitze trieb, wurde die Quarztechnologie – ironischerweise eine Schweizer Erfindung – als billiges, unpräzises Spielzeug abgetan. Japanische Hersteller erkannten jedoch das Potenzial: eine günstige, zuverlässige und für die Masse „gute genug“ funktionierende Uhr. Sie stellten nicht die Qualität infrage, sondern das gesamte Wertversprechen. Die Schweizer Industrie übersah diese disruptive Innovation, weil sie nicht in ihr etabliertes Verständnis von Exzellenz passte – eine Fehleinschätzung, die Zehntausende Arbeitsplätze kostete und die Branche an den Rand des Zusammenbruchs brachte.

Ähnlich erging es der Musikindustrie, die sich so sehr auf den Verkauf von CDs konzentrierte, dass sie die MP3-Revolution als Bedrohung statt als Chance ansah und das Feld Akteuren wie Apple überliess. Diese Beispiele zeigen: Disruption kommt oft von der Seite und wird ignoriert, weil sie zunächst minderwertig erscheint und die etablierten Erfolgsmetriken nicht erfüllt.

Wie identifizieren Sie durch Beobachtung von 7 Signalen kommende Disruption in Ihrer Branche?

Um der institutionellen Blindheit zu entkommen, reicht es nicht, passiv auf den Markt zu schauen. Sie müssen ein aktives Disruptions-Radar aufbauen, das systematisch nach schwachen, aber bedeutsamen Signalen sucht. Diese Signale sind oft unscheinbar und finden sich nicht in den üblichen Branchenreports, sondern an den Rändern Ihres Geschäftsfeldes und darüber hinaus. Es geht darum, die richtigen Fragen zu stellen: Verändert sich der grundlegende „Job-to-be-Done“, für den Ihre Kunden Sie „einstellen“? Welche ungelösten Probleme oder Frustrationen gibt es in Ihrer Wertschöpfungskette?

Ein strategisches Werkzeug hierfür ist das sogenannte Wardley Mapping. Es erlaubt Ihnen, Ihre gesamte Wertschöpfungskette visuell darzustellen – von den Kundenbedürfnissen bis hin zu den benötigten Komponenten und Rohstoffen. Diese Karte hilft Ihnen zu erkennen, welche Teile Ihres Geschäfts reif für eine Kommodifizierung sind und wo neue, innovative Ansätze ansetzen könnten. Sie verlagern den Fokus von der reinen Produktbetrachtung hin zur strategischen Analyse des gesamten Systems, in dem Sie agieren.

Visuelle Darstellung einer Wardley Map für strategische Positionierung

Wie die Visualisierung einer Wertschöpfungskette andeutet, geht es darum, die Entwicklung von massgeschneiderten, einzigartigen Komponenten hin zu standardisierten, austauschbaren Gütern zu verfolgen. Dort, wo ein Teil Ihrer Wertschöpfungskette zur Massenware wird, entsteht eine Angriffsfläche für Disruptoren. Die systematische Beobachtung dieser und anderer Signale ist der Schlüssel zur Früherkennung.

Ihr Aktionsplan: Das Disruptions-Radar kalibrieren

  1. Partnerschaften mit Hochschulen: Bauen Sie gezielt Kontakte zu den Innovations-Ökosystemen der EPFL und ETH Zürich auf, um Zugang zu disruptiven Start-ups und Forschung zu erhalten.
  2. Wertschöpfungskette visualisieren: Nutzen Sie Methoden wie Wardley Mapping, um die eigene Positionierung zu analysieren und Schwachstellen zu identifizieren, bevor es andere tun.
  3. Kundenbedürfnisse neu denken: Analysieren Sie „Job-to-be-Done“-Verschiebungen. Fragen Sie nicht, was der Kunde will, sondern was er wirklich erledigen möchte.
  4. Finanzierungsrunden beobachten: Verfolgen Sie auf Plattformen wie startupticker.ch, in welche neuen Geschäftsmodelle und Technologien Risikokapital fliesst. Das Geld folgt oft der nächsten grossen Welle.
  5. Branchenfremde Signale monitoren: Beobachten Sie, welche Lösungen in anderen Industrien für ähnliche Probleme wie Ihre entstehen. Eine Lösung aus der Logistik könnte morgen Ihre Branche revolutionieren.
  6. Technologiereife bewerten: Nutzen Sie Frameworks wie den Technology Readiness Level (TRL), um einzuschätzen, wie weit eine neue Technologie von der Marktreife entfernt ist.
  7. Lead-User identifizieren: Finden und befragen Sie die anspruchsvollsten und kreativsten Nutzer in Ihrem Kundenstamm. Sie sind oft die ersten, die bestehende Lösungen an ihre Grenzen bringen und neue Bedarfe formulieren.

Geschäftsmodell anpassen oder selbst disruptieren: Welche Strategie sichert Ihr Überleben?

Wenn Ihr Disruptions-Radar ein klares Signal empfängt, stehen Sie vor einer fundamentalen strategischen Entscheidung: Passen Sie Ihr bestehendes Geschäftsmodell an oder wagen Sie den Schritt der Selbstdisruption? Beide Wege haben ihre Berechtigung, aber auch ihre spezifischen Risiken und Anforderungen. Eine inkrementelle Anpassung schützt das Kerngeschäft und nutzt bestehende Stärken, läuft aber Gefahr, zu langsam zu sein. Eine radikale Selbstdisruption kann den Markt neu definieren, birgt jedoch hohe Risiken und erfordert erhebliche Investitionen.

Die Entscheidung hängt von der Art und Geschwindigkeit der erkannten Bedrohung ab. Handelt es sich um eine technologische Verbesserung, die in Ihr bestehendes Modell integriert werden kann? Oder ist es ein fundamental neues Geschäftsmodell, das Ihre gesamte Wertschöpfungskette überflüssig macht? Ein pragmatischer Ansatz kann darin bestehen, mit kleinen, ressourcenschonenden Experimenten zu starten, um Hypothesen über das neue Modell zu testen, bevor man sich voll darauf einlässt.

Der folgende Vergleich zeigt die zentralen Unterschiede zwischen den beiden Strategien, wie sie auch eine aktuelle Analyse von KMU-Strategien beleuchtet.

Strategievergleich: Anpassung vs. Selbstdisruption
Strategie Anpassung des Kerngeschäfts Selbstdisruption
Ansatz Inkrementelle Innovation Radikale Innovation
Risiko Mittleres Risiko Hohes Risiko
Ressourcenbedarf Gedankenexperimente mit geringer Anfangsinvestition Hohe Investition in neue Geschäftsmodelle
Zeitrahmen Kurzfristig (1-2 Jahre) Langfristig (3-5 Jahre)
Beispiel Schweiz PostFinance Beteiligungen Twint als eigenständige Lösung

Manchmal ist die schnellste und effektivste Form der Selbstdisruption der Zukauf. Ein Bericht von Thomson Reuters fasst diese M&A-Strategie prägnant zusammen: „Wenn du es nicht selbst bauen kannst, kaufe es“. Für Schweizer KMU kann die Akquisition eines agilen Start-ups eine Abkürzung sein, um sich neues Wissen, neue Technologien und eine neue Kultur ins Haus zu holen, ohne das stabile Kerngeschäft direkt zu gefährden.

Wie entkommen Sie der Falle, die 90% etablierter Unternehmen trotz Wissen um Disruption lähmt?

Das Wissen um eine nahende Disruption ist nur die halbe Miete. Die grösste Hürde ist die organisatorische Lähmung, die etablierte Unternehmen befällt. Das Immunsystem der Organisation wehrt sich gegen das Neue, weil es das Bestehende und Profitbringende bedroht. Budgets sind für die Optimierung des Kerngeschäfts reserviert, nicht für unsichere Experimente. Erfolgsmetriken wie der Return on Investment (ROI) sind für disruptive Projekte ungeeignet, da sie kurzfristig kaum positive Ergebnisse liefern. Wie entkommt man dieser Falle?

Die Lösung liegt im Konzept der beidhändigen Organisation (Ambidextrie). Erfolgreiche Unternehmen schaffen es, gleichzeitig zwei Betriebssysteme zu fahren: Eines, das auf Effizienz, Optimierung und die Ausschöpfung des Kerngeschäfts ausgelegt ist (Exploitation), und ein zweites, das auf Agilität, Lernen und die Erkundung neuer Geschäftsfelder ausgerichtet ist (Exploration). Dies erfordert getrennte Teams, getrennte Budgets und vor allem getrennte Bewertungskriterien. Statt ROI misst man im Innovationsbereich das „validierte Lernen“ – also wie schnell man Hypothesen über ein neues Geschäftsmodell bestätigen oder widerlegen kann.

Verwaltungsrat diskutiert digitale Transformation in modernem Sitzungssaal

Der Wandel beginnt an der Spitze. Der Verwaltungsrat muss sich vom reinen Kontrollorgan zum strategischen Sparringspartner entwickeln, der die nötige Technologiekompetenz mitbringt und eine Kultur des Experimentierens aktiv fördert und schützt. Erfolgreiche Schweizer Industrieunternehmen wie Georg Fischer oder Bühler leben dieses Prinzip vor, indem sie ihr hocheffizientes Kerngeschäft betreiben und parallel dazu agile Innovationseinheiten aufgebaut haben, die frei von den Fesseln des Tagesgeschäfts agieren können. Diese strukturelle Trennung ist der Schlüssel, um der Innovationslähmung zu entgehen. Um diese Transformation zu ermöglichen, unterstützt beispielsweise Innosuisse gezielt Innovationsprojekte von KMU, was zeigt, dass externe Förderung ein wichtiger Katalysator sein kann.

Wie gestalten Sie Ihr Unternehmen so, dass es gegen zukünftige Disruption resilient bleibt?

Wahre Resilienz gegenüber Disruption ist keine einmalige Massnahme, sondern eine tief in der Unternehmenskultur verankerte Fähigkeit zur permanenten Erneuerung. Es geht darum, eine Organisation zu schaffen, die Wandel nicht als Bedrohung, sondern als Normalzustand begreift. Für Schweizer KMU, die laut Bundesamt für Statistik STATENT das Rückgrat der Wirtschaft bilden und zwei Drittel der Arbeitsplätze in der Schweiz schaffen, ist diese Fähigkeit existenziell.

Der Schlüssel liegt in einer Kultur des psychologischen Schutzes, in der Mitarbeiter ermutigt werden, den Status quo infrage zu stellen, zu experimentieren und auch scheitern zu dürfen, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. Dies steht im Kontrast zur reinen Effizienz- und Fehlervermeidungskultur vieler etablierter Betriebe. Resilienz bedeutet auch, das eigene Geschäftsmodell ständig zu hinterfragen und offen für Kooperationen in agilen Unternehmensnetzwerken zu sein, um auf Ressourcen und Wissen zuzugreifen, die man intern nicht besitzt.

Gerade KMU haben hier oft einen strukturellen Vorteil gegenüber Grosskonzernen. Die Entscheidungswege sind kürzer und die Vorbildfunktion der Führungskräfte hat eine viel höhere Durchschlagskraft. Eine Veränderung der Denkweise an der Spitze kann sich schnell auf die gesamte Organisation auswirken.

KMU haben weniger zu verlieren, aber viel zu gewinnen. Sie können durch die geringere Anzahl an Mitarbeitenden diese leichter auf dem Weg des Wandels mitnehmen. Die Vorbildfunktion der KMU-Entscheider hat in kleinen Unternehmen eine höhere Durchschlagskraft.

– KMU Magazin, Disruptive Innovation – nicht ohne Kulturwandel

Eine resiliente Organisation ist eine lernende Organisation. Sie investiert kontinuierlich in die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter, fördert den Austausch über Abteilungsgrenzen hinweg und sieht jede Marktveränderung als Gelegenheit, dazuzulernen und sich anzupassen. Es ist diese Haltung der permanenten Wachsamkeit und Neugier, die langfristig das Überleben sichert.

Wie erkennen Sie, ob eine Technologie in 5 Jahren massentauglich oder noch 20 Jahre entfernt ist?

Ein zentraler Bestandteil Ihres Disruptions-Radars ist die Fähigkeit, den Reifegrad neuer Technologien realistisch einzuschätzen. Nicht jede bahnbrechende Erfindung wird über Nacht den Markt erobern. Ein nützliches Werkzeug zur Bewertung ist der Gartner Hype Cycle. Dieses Modell beschreibt die typischen Phasen, die eine neue Technologie auf ihrem Weg zur Marktreife durchläuft – vom anfänglichen Hype bis zur produktiven Nutzung. Es hilft Ihnen, zwischen kurzfristigen Modetrends und langfristig relevanten Entwicklungen zu unterscheiden.

Ein aktuelles Beispiel ist Generative AI (GenAI). Laut einer Analyse von Gartner aus dem Jahr 2024 hat GenAI den „Gipfel der überzogenen Erwartungen“ bereits überschritten und bewegt sich ins „Tal der Enttäuschungen“. Das bedeutet, die anfängliche Euphorie weicht einer realistischeren Phase, in der der Fokus auf konkreten, ROI-getriebenen Anwendungsfällen liegt. Für Sie als Unternehmer heisst das: Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um ernsthafte, aber fokussierte Pilotprojekte zu starten, anstatt auf den nächsten grossen Knall zu warten.

Das Verständnis der fünf Phasen des Hype Cycle ist entscheidend für Ihre strategische Planung:

  • Technologischer Auslöser (Innovation Trigger): Ein potenzieller Durchbruch erzeugt erste mediale Aufmerksamkeit. Es gibt oft noch keine nutzbaren Produkte.
  • Gipfel der überzogenen Erwartungen (Peak of Inflated Expectations): Eine Welle der Publizität führt zu Erfolgsgeschichten, aber auch vielen Misserfolgen. Der Hype ist gross.
  • Tal der Enttäuschungen (Trough of Disillusionment): Das Interesse lässt nach, da erste Implementierungen scheitern. Investitionen fliessen nur noch zögerlich.
  • Pfad der Erleuchtung (Slope of Enlightenment): Die Technologie wird besser verstanden, zweite und dritte Generationen von Produkten erscheinen. Konkrete Anwendungsfälle mit klarem Nutzen etablieren sich.
  • Plateau der Produktivität (Plateau of Productivity): Die Technologie ist etabliert und wird von der breiten Masse angenommen. Ihr Nutzen ist bewiesen und allgemein anerkannt.

Indem Sie neue Technologien auf dieser Skala verorten, können Sie Ihre Investitionsentscheidungen wesentlich fundierter treffen und vermeiden, entweder zu früh auf ein unausgereiftes Pferd zu setzen oder eine wichtige Entwicklung komplett zu verschlafen.

Warum 70% der Schweizer KMU ohne kontinuierliche Innovation in 10 Jahren verschwinden werden?

Die Aussage mag provokant klingen, doch sie fusst auf einer beunruhigenden Realität. Während die Schweiz als Innovationsweltmeister gilt, zeigt sich bei genauerem Hinsehen ein differenziertes Bild. Der Druck durch globale Konzerne und digitale Plattformen, die mit Skaleneffekten und aggressiven Preisen in lokale Märkte drängen, untergräbt traditionelle Geschäftsmodelle. Die Kundentreue von einst ist einer opportunistischen Wankelmütigkeit gewichen. Wer heute nicht kontinuierlich Mehrwert schafft, ist morgen austauschbar.

Besonders alarmierend ist ein Trend, den eine KOF-Innovationserhebung aus dem Jahr 2020 aufdeckte: Entgegen dem gesamtwirtschaftlichen Trend verringerte sich bei Schweizer KMU im Hightech-Bereich der Anteil der F&E-aktiven Unternehmen. Gleichzeitig stiegen die Massnahmen zur reinen Kostensenkung. Das ist ein fatales Signal: Statt in die Zukunft zu investieren, wird der Rückzug angetreten und nur noch die Effizienz im schrumpfenden Kerngeschäft optimiert. Dies ist der direkte Weg in die Irrelevanz.

Makroaufnahme zeigt Kontrast zwischen Schweizer Präzision und globalem Druck

Das Bild des präzisen Schweizer Zahnrads, das auf ein massengefertigtes, globales Pendant trifft, symbolisiert diese Spannung perfekt. Die alleinige Konzentration auf höchste Qualität und Präzision reicht nicht mehr aus, wenn der Markt plötzlich eine andere, schnellere oder bequemere Lösung verlangt. Ohne die Bereitschaft, das eigene Erfolgsmodell permanent zu hinterfragen und in radikal neue Ansätze zu investieren, droht vielen der heute noch erfolgreichen KMU das Schicksal der einst stolzen Schweizer Uhrenmanufakturen vor der Quarzkrise.

Die Zahl 70% ist eine hypothetische Warnung, aber die zugrundeliegende Dynamik ist real. Unternehmen, die ihre Innovationsaktivitäten zurückfahren, um Kosten zu sparen, sägen an dem Ast, auf dem ihre zukünftige Existenz beruht. In einer globalisierten Wirtschaft ist Stagnation keine Option.

Das Wichtigste in Kürze

  • Disruption ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein Prozess, dessen schwache Signale frühzeitig erkannt werden können.
  • Der grösste Feind ist die „institutionelle Blindheit“: Erfolgsmechanismen von gestern verhindern die Wahrnehmung von Bedrohungen von morgen.
  • Bauen Sie ein aktives „Disruptions-Radar“ auf, das systematisch technologische, geschäftsmodellbezogene und gesellschaftliche Veränderungen an den Rändern Ihrer Branche beobachtet.
  • Überwinden Sie organisatorische Lähmung durch „Ambidextrie“ – die Fähigkeit, das effiziente Kerngeschäft zu betreiben und gleichzeitig geschützte Räume für radikale Innovationen zu schaffen.
  • Für Schweizer KMU liegt die Überlebenschance in der Kombination aus traditionellen Stärken („Swissness 2.0“) und agiler Anpassungsfähigkeit.

Wie überleben Sie als Schweizer KMU durch permanente Innovation gegen globale Konzerne?

Angesichts des globalen Wettbewerbsdrucks mag die Lage für Schweizer KMU herausfordernd erscheinen. Doch gerade in ihrer Struktur liegen einzigartige Überlebens- und Erfolgschancen. Es geht nicht darum, globale Giganten in ihrem eigenen Spiel – der reinen Skalierung und Preisführerschaft – zu schlagen. Es geht darum, ein anderes, besseres Spiel zu spielen. Die aktuelle KMU-Studie 2024 bestätigt, dass 99,7% aller Unternehmen in der Schweiz KMU sind – sie sind das Herz und der Motor der Wirtschaft und müssen ihre spezifischen Stärken ausspielen.

Mehrere strategische Stossrichtungen haben sich als besonders wirksam erwiesen, um als Schweizer KMU nicht nur zu überleben, sondern zu florieren:

  • Die „Hidden Champion“-Strategie: Konzentrieren Sie sich auf eine hochspezialisierte Nische, in der Sie absolute Weltspitze sind. Statt breiter Diversifikation geht es um unanfechtbare Tiefe in einem klar definierten Feld.
  • Swissness 2.0: Nutzen Sie den Vertrauensvorschuss von „Swiss Made“, aber erweitern Sie ihn. Differenzieren Sie sich durch nachweisbare Nachhaltigkeit, unübertroffenen Datenschutz und absolute Zuverlässigkeit – Werte, die in einer unsicheren Welt immer wichtiger werden.
  • Agile Unternehmensnetzwerke: Kein KMU kann alles allein. Bauen Sie strategische Allianzen mit anderen KMU, Start-ups und Forschungsinstituten auf, um gemeinsam schneller und schlagkräftiger zu sein als jeder einzelne Konzern.
  • Hyper-Personalisierung und Kundennähe: Ihre grösste Waffe ist die Nähe zum lokalen Markt und zum Kunden. Nutzen Sie diese, um Angebote zu schaffen, die so passgenau und persönlich sind, dass sie von globalen Plattformen nicht kopiert werden können.

Permanente Innovation bedeutet für ein KMU nicht, ständig das nächste iPhone erfinden zu müssen. Es bedeutet, eine Kultur der Neugier, der Wachsamkeit und der schnellen Anpassung zu etablieren. Es ist die Fähigkeit, inkrementelle Verbesserungen im Kerngeschäft mit der Bereitschaft zu radikaleren Experimenten zu verbinden. Ihre Grösse ist kein Nachteil, sondern Ihr grösster Vorteil – wenn Sie sie für Agilität und Kundennähe nutzen.

Der erste Schritt zur Transformation Ihres Unternehmens beginnt jetzt. Beginnen Sie damit, ein interdisziplinäres Team zu bilden, das die Aufgabe erhält, die ersten „schwachen Signale“ für Ihr Geschäft zu identifizieren und zu bewerten. Nutzen Sie die hier vorgestellten Werkzeuge, um aus der passiven Beobachtung in ein aktives Handeln zu kommen.

Geschrieben von Daniel Fischer, Daniel Fischer ist seit 18 Jahren als Strategieberater für Schweizer KMU tätig und hat über 150 Unternehmen durch Innovationsprozesse, Wachstumsphasen und disruptive Marktveränderungen begleitet. Er ist Inhaber eines MBA der Universität St. Gallen und zertifizierter Experte für Lean Innovation und agile Organisationsentwicklung.